Kurt Singer

Der 1885 in Berent/Koscierzyna geborene Kurt Singer war ein regelrechtes Multitalent, das sich zu Lebzeiten als Arzt, Dirigent und Musikwissenschaftler gleichermaßen einen Namen machte. Ab seinem ersten Lebensjahr lebte seine Familie in Koblenz, wo sein Vater Rabbiner war. Dort besuchte Singer auch das Musikkonservatorium. Später studierte er Musik und Medizin. Zu seinen Lehrern gehörten unter anderem Paul Grünberg (Violine) sowie Max Friedlaender und Siegfried Ochs (Chorgesang und Dirigieren). Seine Promotion zum Dr. med. schloss er 1908 in Leipzig ab und erhielt danach eine Anstellung als Nervenarzt in der Charité Berlin. Die große Nähe zur Musik ließ ihn dennoch nicht los. Viele seiner Schriften befassten sich mit Musik, Musikgeschichte und deren Bedeutung innerhalb der Medizin, so zum Beispiel seine Arbeiten zu „Berufskrankheiten der Musiker“ und die „Heilwirkung der Musik“. Zudem trat er seit 1910 auch zunehmend als Musikkritiker in Erscheinung. Er schrieb unter anderem für den „Vorwärts“, die „Allgemeine Musikzeitung“ sowie die „Rheinische Musik- und Theaterzeitung“. 1913 gründete er den Berliner Ärztechor, der im Jüdischen Kulturbund in Kurt Singerscher Chor umbenannt und insgesamt 25 Jahre von ihm geleitet wurde. Wie viele seiner Zeitgenossen diente auch Singer im Ersten Weltkrieg und wurde mit dem Eisernen Kreuz für seine Verdienste ausgezeichnet. Die Musikhochschule in Berlin erteilte ihm 1923 einen Lehrauftrag und ernannte ihn zum Leiter der ärztlichen Beratungsstelle der Hochschule. Auch die Städtische Oper Berlin-Charlottenburg interessierte sich für sein Talent und berief ihn von 1927 bis 1930 erst zum stellvertretenden Intendanten und von 1930 bis 1931 zum Intendanten. Doch das politische Klima änderte sich rasch.

1932 wurde Singer von der Musikhochschule entlassen. Als Begründung wurden finanzielle Nöte der Hochschule angegeben. Singer blieb jedoch nicht tatenlos, sondern wirkte seit 1933 maßgeblich an der Schaffung des Jüdischen Kulturbunds mit und bekleidete alsbald den Posten des reichsweiten Vorsitzenden und künstlerischen Leiters des Kulturbunds. Im Privaten erlitt er in dieser Zeit erneut einige Rückschläge, nachdem bereits seine erste Ehe mit Gertrud (geb. Horwitz) 1929 gescheitert ware, wurde spätestens 1935 auch seine zweite Ehe mit Margarethe (geb. Pfahl) geschieden. Von 1935 bis 1938 prägte er als Direktor des Jüdischen Kulturbunds die Entwicklung des kulturellen und musikalischen Lebens der deutschen Juden und war auch inhaltlich federführend bei der Kulturtagung des Reichsverbandes der Jüdischen Kulturbünde in Deutschland im September 1936.

Trotz des Erfolgs seiner kulturellen Programme konnte er seine Augen jedoch nicht vor der Entwicklung in Deutschland verschließen, immer häufiger ersuchten ihn Künstler um Referenzschreiben für die Arbeitssuche im Ausland oder sagten ihre Teilnahme an Veranstaltungen ab, da sie ihre Emigration vorbereiteten. 1938 reiste Singer selbst in die USA, um Möglichkeiten auszuloten, den Jüdischen Kulturbund komplett in die Vereinigten Staaten zu transferieren. Dazu kam es nie. Als er von den Novemberpogromen hörte, kehrte er nach Europa zurück. Nachdem ihn in den Niederlanden eine Warnung vor der Einreise nach Deutschland erreicht hatte und er feststellen musste, dass es für den Kulturbund in Deutschland wohl keine Zukunft mehr gab, blieb er in Amsterdam. Im holländischen Exil hielt Singer Vorträge, gab Musikunterricht und betätigte sich als Musikschriftsteller. Zugleich bemühte er sich vergeblich um eine Anstellung an einer amerikanischen Universität, die ihm ein non-quota-Visum für die USA garantiert hätte. Der Einmarsch der Deutschen in den Niederlanden beendete diese Ausreisepläne endgültig. Fortan arbeitete Singer in der jüdischen Selbstverwaltung in Amsterdam und leitete bis 1942 einen Chor, der nur vor jüdischem Publikum sang. 1943 wurde Singer im KZ Westerbork inhaftiert und von dort nach Theresienstadt deportiert. Auch dort beteiligte er sich erneut maßgeblich an dem Versuch, innerhalb des Lagers ein aktives Kulturleben aufrechtzuerhalten. Singer starb im Februar 1944 in Theresienstadt an Entkräftung und Lungenentzündung.

Lebensstationen:

Berent/Koscierzyna - Koblenz - Leipzig - Berlin - USA - Amsterdam - Westerbork - Theresienstadt

Videos :

Sigrid Onegin "Alto Rhapsody" Brahms (Berliner Ärztechor, Orchester der Berliner Staatsoper, Kurt Singer, conductor, Berlin, 28.X.1929)

Literaturhinweise :

Bergmeier, Horst J. P./Eisler, Ejal Jakob/Lotz, Rainer (Hrsg.). Vorbei …. Dokumentation jüdischen Musiklebens in Berlin 1933-1938, Hambergen: Bear Family Records, o. J. (Buch und elf CDs).

Fetthauer, Sophie. Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM) 2006, aktualisiert am 19. Februar 2014: http://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001059

Stompor, Stephan. Jüdisches Musik- und Theaterleben unter dem NS-Staat, Hannover: Europäisches Zentrum für jüdische Musik, 2001.

Geisel, Eike/Broder, Henryk M. Premiere und Pogrom: Der Jüdische Kulturbund 1933-1941. Texte und Bilder, Berlin: Siedler, 1992, S. 231-237.

Akademie d. Künste (Hrsg.). Geschlossene Vorstellung: Der Jüdische Kulturbund in Deutschland 1933-1941, Berlin: Hentrich & Hentrich, 1992.

Weber, Horst (Hrsg.). Musik in der Emigration 1933-1945: Verfolgung - Vertreibung - Rückwirkung, Stuttgart, Weimar: Metzler, 1994.