Jüdischer Kulturbund

Zahlreiche Intellektuelle wie Thomas Mann und Kurt Tucholsky bewerteten die Gründung des Jüdischen Kulturbunds als „Ghettoisierung“ und lehnten ihn als „Kulturghetto“ ab. Doch für andere stellte er vor allem nach dem 6. Dezember 1938, als Juden der Zutritt zu allen anderen Kultureinrichtungen untersagt wurde, den letzten Funken Normalität dar, den sie so lange wie möglich zu bewahren hofften.

Bereits 1933 trugen sich Kurt Singer, Kurt Baumann und Julius Bab mit der Idee, eine Selbsthilfeorganisation für entlassene kunstschaffende Juden zu gründen. Treibende Kraft war dabei Kurt Singer, in dessen Wohnung am 17. Juli 1933 der „Kulturbund Deutscher Juden“ gegründet wurde und der fortan ein umfangreiches Programm mit Theaterstücken, Literaturlesungen, Vorträgen und musikalischen Darbietungen anbot. Auf Druck der nationalsozialistischen Machthaber erfolgte wenig später die Umbenennung in „Jüdischer Kulturbund“. Rasch war klar, dass der Kulturbund der Überwachung durch die Gestapo und einer strengen Zensur unterworfen war. Sämtliche Veranstaltungen mussten von Hans Hinkel genehmigt werden, der ab 1935 das „Sonderreferat Hinkel (Judenfragen)“ im Propagandaministerium leitete und somit direkte Eingriffe in das Programm des Kulturbunds vornehmen konnte. Es sollten keine „deutschen“, sondern vornehmlich „jüdische“ Stücke gezeigt werden, wobei die kulturbundinternen Interpretationen der beiden Kategorien oder des Begriffs der „jüdischen Kultur“, die durchaus kontrovers diskutiert wurden und im September 1936 im Mittelpunkt der „Kulturtagung des Reichsverbandes der Jüdischen Kulturbünde in Deutschland“ stand, nicht von Belang war. Die alleinige Definitionsmacht, was nun als „deutsch“ oder „jüdisch“ zu gelten habe, lag einzig bei NS-Funktionsträgern, die zunehmend weitere Autoren und Komponisten aus dem Programm des Kulturbunds strichen.

Die Aufführungen des Kulturbunds durften ausschließlich vor jüdischem Publikum stattfinden, „arischen“ Familienangehörigen war die Mitgliedschaft im Kulturbund streng verboten. Selbst christlichen Ehepartnern wurde die Teilnahme verweigert, sie durften laut Hinkel den Vorstellungen „grundsätzlich nicht beiwohnen“. Derartige Anfragen wurden in überwiegender Zahl abgelehnt, doch in Einzelfällen sind Genehmigungen zum Besuch einzelner Veranstaltungen überliefert.

Für die im Kulturbund tätigen Künstlerinnen und Künstler bot ihre Anstellung eine Möglichkeit, in ihrem Beruf weiterzuarbeiten und somit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Außerdem erlaubte er ihnen den Austausch mit anderen Kunstschaffenden und den Aufbau von Netzwerken. Letzteres war vor allem für die Vorbereitung einer Auswanderung aus Deutschland überlebensnotwendig. Dennoch stand die Emigration aus finanziellen Gründen nur wenigen offen und gerade für diejenigen, die für ihren Beruf in der schreibenden Zunft auf die deutsche Sprache angewiesen waren, erschien eine Flucht oftmals ausgeschlossen.

Am 1. Oktober 1933 feierte mit Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ die erste Aufführung des Jüdischen Kulturbunds Berlin Premiere. Fast täglich fanden in den Folgejahren in Berlin Veranstaltungen des Kulturbunds statt. Neben der Hauptstadt taten sich vor allem die Kulturbünde in Köln, Frankfurt und Hamburg hervor. Der in Köln angesiedelte „Jüdische Kulturbund Rhein-Ruhr“ unterhielt seit Herbst 1933 ein äußerst gefragtes eigenes Theaterensemble. Schwerpunkte des seit April 1934 bestehenden Frankfurter Kulturbunds waren Orchestermusik und das lokale Philharmonieorchester unter der Leitung von Hans Wilhelm Steinberg. Ähnlich wie der Frankfurter Kulturbund besaß auch der im August 1935 gegründete „Jüdische Kulturbund Hamburg“ ein Theater, das bis 1938 an 35 Orten gastierte und über Zweigstellen in Dresden und Breslau verfügte.

Bis August 1935 musste der Zusammenschluss der regionalen und lokalen Einrichtungen zum „Reichsverband jüdischer Kulturbünde in Deutschland“ erfolgen. 1937 vereinte der Reichsverband über hundert Organisationen, darunter auch Synagogengemeinden und Vereine. In Folge der Novemberpogrome wurden 1938 fast alle Kulturbünde zur Schließung gezwungen. Davon ausgenommen war der Berliner Kulturbund, dessen Gebäude in der Kommandantenstraße am 9. November verschont blieb und der auf Befehl von Joseph Goebbels am 20. November 1938 seinen Betrieb wieder aufnahm. 1939 wurde der „Reichsverband jüdischer Kulturbünde in Deutschland“ aufgelöst, an seine Stelle trat der „Jüdische Kulturbund in Deutschland e.V.“. Nach Wegfall der regionalen Kulturbünde zählte die Organisation von lokalen Veranstaltungen zu seinen Aufgaben. Der „Jüdische Kulturbund in Deutschland e.V.“ bestand noch bis 1941. Am 11. September löste die Gestapo den Verein auf. Viele Mitglieder und Angestellte des Kulturbunds, denen eine Flucht nicht mehr rechtzeitig gelungen war, wurden wenig später deportiert und ermordet.

Literaturhinweise :

Rovit, Rebecca. The Jewish Kulturbund Theatre Company in Nazi Berlin, Iowa City: University of Iowa Press, 2012.

Hirsch, Lily E. A Jewish Orchestra in Nazi Germany: Musical Politics and the Berlin Jewish Culture League, Michigan: University of Michigan Press, 2011.

Geisel, Elke und Henryk M. Broder. Premiere und Pogrom: der Jüdische Kulturbund 1933 – 1941, München: Siedler Verlag, 1992.

Fritsch-Vivié, Gabriele. Gegen alle Widerstände. Der Jüdische Kulturbund 1933-1941. Berlin: Hentrich & Hentrich, 2013.

Freeden, Herbert, Jüdisches Theater in Nazideutschland, Tübingen: J. C. B. Mohr Verlag, 1964.

Akademie der Künste (Hrsg.). Geschlossene Vorstellung: der Jüdische Kulturbund in Deutschland 1933 – 1941, Berlin: Hentrich & Hentrich, 1992.