Musikmetropole Berlin
Berlin war im 19. Jahrhundert eine der führenden Musikmetropolen mit Musikern wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Giacomo Meyerbeer, Richard Strauss und Arnold Schönberg, um nur einigezu nennen. Zugleich war die Stadt eines der Zentren der Musiktheorie mit Kennern wie Johann Philipp Kirnberger, Johann Joachim Quantz oder Carl Philipp Emanuel Bach, der zahlreiche Manuskripte seines Vaters exklusiv nach Berlin brachte und dadurch erst die hervorgehobene Stellung der Stadt in der Johann Sebastian Bach Rezeption ermöglichte.
In den 1930er-Jahren besaß die Stadt 21 Konzertsäle, davon acht mit mehr als 1000 Plätzen, und mehr als 50 Sinfonieorchester. Das Berliner Philharmonische Orchester, heute bekannt als Berliner Philharmoniker, besteht seit 1882 und wurde unter anderem geleitet von Ludwig Brenner, Hans von Bülow, Wilhelm Furtwängler, unter dem 1929 Yehudi Menuhin auftrat und Paul Hindemiths „Mathis der Maler“ Uraufführung erlebte.
Die vom Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff entworfene und 1742 eröffnete Preußische Staatsoper galt damals als größtes Operngebäude in Europa. Die Umbenennung in Staatsoper Unter den Linden erfolgte 1918. Die Staatsoper zog seit jeher begnadete Musiker und Dirigenten an. 1842 leitete Felix Mendelssohn Bartholdy die frisch ins Leben gerufenen Sinfoniekonzerte und Giacomo Meyerbeer bekleidete den Posten als Generalmusikdirektor. Zugleich bezeichnete die NSDAP sie 1932 als Musterbeispiel des „Kulturverfalls“ und verwies auf 42 „ausländische“ und 22 „jüdische“ Solisten. Nach der Machtübernahme wurden zahlreiche jüdische Mitglieder der Staatsoper aus dem Haus verdrängt.
Berühmte Musikhochschulen und Musikakademien, wie das Stern’sche Konservatorium oder die Akademische Hochschule für Musik, waren in Berlin beheimatet. Das Stern’sche Konservatorium wurde 1850 gegründet und stand seit 1856 unter Julius Sterns alleiniger Leitung. Seine Blütezeit erlebte es von 1895 bis 1915 unter Gustav Hollaender, bevor es 1935 „arisiert“ und in „Konservatorium der Reichshauptstadt Berlin“ umbenannt wurde. Hollaenders Kinder gründeten daraufhin die „Jüdische private Musikhochschule Hollaender“ mit zeitweilig 150 Schülern. 1945 wurde das ehemalige Stern’sche Konservatorium in „Städtisches Konservatorium“ umbenannt und 1966 der Hochschule der Künste (heute: Universität der Künste) angegliedert.
Berlin war zudem die Heimat der Chorbewegung. Die 1791 von Carl Friedrich Christian Fasch gegründete „Sing-Akademie Berlin“ gilt als älteste gemischte Chorvereinigung der Welt. Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven komponierten gleichermaßen für die Sing-Akademie, deren zweiter Direktor Carl Friedrich Zelter war. Unter Zelters Ägide wurde 1827 der Bau des Konzertgebäudes am Festungsgraben abgeschlossen, dessen Konzertsaal für seine außerordentlich gute Akustik berühmt war, weshalb unter anderem Niccolo Paganini, Robert Schumann, Clara Schumann, Johannes Brahms und Richard Strauss dort konzertierten. Im Zentrum des musikalischen Wirkens des Chores stand Johann Sebastian Bach, dessen Matthäus-Passion 1829 unter Felix Mendelssohn Bartholdy Wiederaufführung feierte. Von 1926 bis 1943 wurde der Konzertsaal auch für zahlreiche Schallplattenaufnahmen genutzt. Beispielsweise gab es Aufnahmen von Leo Blech und Otto Klemperer, aber auch Marlene Dietrichs „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ wurde im Konzertsaal eingespielt. Seit 1932 hatte der Telefunken Plattenverlag einen Exklusiv-Vertrag, der es ihm ermöglichte, jährlich mehrere hundert Aufnahmen im Konzertsaal anfertigen zu lassen.
Literaturhinweise :
Stresemann, Wolfgang. Philharmonie und Philharmoniker. Berlin: Stapp, 1977.
Schmidt, Christian Martin. Die Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts kann man ohne Bach nicht schreiben, in: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1994, S. 96-125.
Potter, Pamela M. Most German of the Arts: Musicology and Society from the Weimar Republic to the End of Hitlers Reich, New Haven and London: Yale University Press, 1998.
Kulturprojekte Berlin GmbH (Hrsg.). Zerstörte Vielfalt: Berlin 1933-1938-1945. Eine Stadt erinnert sich/Diversity Destroyed: Berlin 1933-1938-1945. A City Remembers, Berlin : Kulturprojekte Berlin, 2013.
Heymann-Wentzel, Cordula. Das Stern'sche Konservatorium der Musik in Berlin – ein privates Ausbildungsinstitut im Besitz Berliner jüdischer Familien, in: Beatrix Borchard, Heidy Zimmermann (Hrsg.). Musikwelten – Lebenswelten: jüdische Identitätssuche in der deutschen Musikkultur. Köln: Böhlau, 2000, S. 249–263.
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