Musik und Verfolgung im Nationalsozialismus

Als Richard Wagner 1850 „Das Judentum in der Musik“ veröffentlichte, legte er mit seiner umfassenden Zurückweisung sämtlicher jüdischer Beiträge zur deutschen Musikgeschichte den Grundstein für die Diffamierung jüdischer Musikschaffender im Nationalsozialismus. Obwohl die ersten musikwissenschaftlichen Institute an Universitäten um die Jahrhundertwende gegründet wurden und diese sich in Städten mit großem jüdischen Bevölkerungsanteil befanden (Wien 1898, Berlin 1904, Leipzig 1908), erlangten Juden nur in Ausnahmefälle einen Lehrstuhl. Zu ihnen gehörten in Deutschland Curt Sachs und Erich von Hornbostel sowie in Österreich Guido Adler, der den musikhistorischen Lehrstuhl in Wien innehatte.

Doch selbst diese Erfolge waren nur von kurzer Dauer. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 traf alle Juden in Staatsdiensten und somit auch jene, die im Kulturbereich oder in der Musikwissenschaft tätig waren: Musikerinnen und Musiker, Komponierende und Dirigierende in Opern und Orchestern, Schauspielerinnen und Schauspieler, Kabarett- und Chansonkünstlerinnen und -künstler, Theaterintendanten, Dozenten und Musiklehrende. Viele ihrer geschriebenen Werke fielen am 10. Mai 1933 der Bücherverbrennung zum Opfer. Bereits im September folgte das Gesetz zur Reichskulturkammer, das die Beschäftigung von Juden an nichtjüdischen Kultureinrichtungen untersagte. Neben dem Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst folgten Auftrittsverbote für Juden und weitere finanzielle Einschnitte, da ihnen zum Teil auch bestehende Ansprüche wie Gehälter, Pensionen oder Tantiemen vorenthalten wurden. Hinzu kamen zahlreiche Demütigungen und sowohl verbale als auch physische Angriffe auf Betroffene. Statuen berühmter Juden, wie die Denkmäler an Felix Mendelssohn Bartholdy in Prag und Leipzig, wurden von den Nationalsozialisten entfernt, „jüdische Stücke“ von Bühnen und aus Konzertsälen verbannt und Komponisten wie Gustav Mahler oder Arnold Schönberg die „jüdische Zersetzung deutscher Musiktradition“ vorgeworfen.

Diesen Vorwurf machte sich auch die Ausstellung „Entartete Musik“ zu eigen, die sich gegen Jazz, Schlager, Operette, atonale Musik und vor allem jüdische Komponisten richtete. Das Plakat der Ausstellung zeigte in rassistischer Überzeichnung einen schwarzen Saxofonisten mit Davidstern am Frack und bezog sich offensichtlich auf Ernst Kreneks erfolgreiche Oper „Jonny spielt auf“. Angelehnt an die Schau „Entartete Kunst“ präsentierte Hans Severus Ziegler die von ihm initiierte Ausstellung „Entartete Musik“ erstmalig am 24. Mai 1938 bei den Musiktagen in Düsseldorf. Bis zum Kriegsbeginn wurde sie noch in Weimar, München und Wien gezeigt.

Noch deutlicher war der Auftrag des 1940 veröffentlichten „Lexikons der Juden in der Musik“. Es wurde herausgebracht von Herbert Gerick, dem Leiter des „Amts Musik“ (einer Unterabteilung im „Amt Rosenberg“) und Theo Stengel, einem Referenten in der Reichskulturkammer. Schon in der Einleitung lässt Gerick keinen Zweifel an der Funktion des Lexikons: Es ist ein Nachschlagewerk und Schulungsmaterial, das zur „schnellsten Ausmerzung aller irrtümlich verbliebenen Reste aus unserem Kultur- und Geistesleben“ dienen soll. Aber die Wirkung ging noch darüber hinaus, weil die darin gelisteten Personen mit letztem bekannten Wohnort aufgeführt wurden und zur Denunziation noch nicht genannter Juden aufgerufen wurde. Außerdem stellten Gerick und dessen Mitarbeiter „Personalanfragen“ bei den zuständigen Einwohnermelde- und Kirchenämtern, um auf vermeintliche oder tatsächliche Juden aufmerksam zu machen. Häufig folgten den Anfragen Deportationen, sofern es den Bedrängten nicht gelang, zuvor unterzutauchen oder auszureisen.

Berühmte Dirigenten wie Otto Klemperer oder Erich Kleiber, der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, wurden vertrieben, und auch Kleibers Nachfolger Leo Blech wurde 1937 abgesetzt und musste nach 30 Jahren des künstlerischen Wirkens aus Deutschland fliehen.

Jedoch gestaltete sich die Flucht für viele jüdische Auswanderer als kaum zu schaffende Herausforderung. Seit der Weltwirtschaftskrise hatten viele Länder eine restriktive Einreisepolitik eingeführt. Einreisewillige mussten über ausreichende Geldreserven oder einen finanzkräftigen Bürgen verfügen, um die Ausreise zu finanzieren und bei der Einreise finanziell abgesichert zu sein, und sollten über einen im Zielland begehrten Beruf oder zumindest die dafür erforderliche Qualifikation verfügen. Gerade für ältere Personen war dies oftmals ein Ausschlusskriterium, denn von ihnen wurde angenommen, dass sie im Gegensatz zu jungen Bewerbern kaum in der Lage seien, sich im Ausland nochmals völlig neu zu orientieren. Gute Kontakte zu Fürsprechern im Ausland waren somit überlebensnotwendig.

Doch selbst eine gelungene Flucht war nicht immer gleichbedeutend mit Rettung, viele wähnten sich in Frankreich, Belgien, Dänemark oder Holland in trügerischer Sicherheit. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten wurden sie in Lagern interniert und ab dem Herbst 1941 deportiert.

Literaturhinweise :

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